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Gefragt in Plauderecke von spectral Mitglied (375 Punkte)
Rasensprenger

Er ging auf dem Rasen seiner ehemaligen Schule entlang. Mit leichtem Schritt erdrückte er die Halme, während er ging. Er ging mal hier entlang, mal da entlang. Es war ein schöner Tag, die Vögel summten und Bienen brummten, die Rasensprenger waren angeschaltet und untermalten den frischen Morgen mit ihrem rhythmischen Gezirpe.
Seit er hier Schüler war, waren vier Jahre vergangen. Als die frisch geschnittenen Halme seine Arme kitzelten, entspannte sich sein Gesicht für einen Moment. "Es würde wie damals sein", dachte er sich und wusste sogleich, daß es niemals wieder so sein würde. Die Rasensprenger klickten im Hintergrund und im Nebel des Wassers erzeugte das Licht der aufgehenden Sonne kleine, eklige Regenbögen. Ein kühler, feuchter Nebel traf sein Gesicht.
Er kreuzte seine Beine auf umständliche Weise und ließ sich nieder auf dem feuchten Rasen. Sein Blick schweifte kurz in die Richtung der alten Fabrik. Dann war sein Blick nur noch einen Meter über dem Rasen. Er saß wie ein Buddha und starrte geradeaus, mal nach rechts für eine Weile, dort wo der der öffentliche Park anfing. Als er wieder geradeaus sah, musste er blinzeln, weil der feuchte Rasen das verfickte Sonnenlicht reflektierte. In der Ferne verschwammen die Gebäude mit dem Horizont. Er schmeckte das Ozon auf der Zunge, die Sonne brannte auf ihn runter und die riesige freie Fläche links und rechts neben ihm. Der Rasen wurde Samstag nachmittag gemäht, aber er roch noch immer danach. Ein säuerlicher Duft von fabrikneuen Kopiergeräten mit dem drückenden Duft von dichten Laubhaufen, die von der Sonne erwärmt wurden.
Von weitem betrachtet würde er ein lustiges Bild abgeben. Ein normaler Typ, sitzend im Rasen auf einem Schulgelände an einem Sonntagmorgen. Aber das war der einzige Zeitpunkt, an dem er sich hier ungestört frei bewegen konnte. Keine Kinder, die ihn schief anblickten, keine Pausenaufseher, die ihn für einen Freak halten würden, bis sie ihn von nahem sahen. Er blickte über die dichte Rasenfläche auf das weit entfernte Tennisgelände und den Golfplatz daneben.
Ein gleichmässiges Pulsieren, daß von der Höhe des Rasens bis zur Höhe der zugekackten Pinienbäume reichte, war in der Ferne auszumachen. Weil dort immer die Leute mit ihren Hunden entlangspazierten. Aber dort standen wohl auch Rasensprenger, denn gestern war ein heißer Tag gewesen.
Er blickte nach unten, auf die Grashalme vor ihm. Sie waren kurz geschnitten, gleichmässig wie damals auch.
Zwischen ihnen war kaum Platz für Erde und er wollte mit ausgestreckter Hand auf der Oberfläche der spitzen Grashalme entlangstreichen. Im letzten Moment hielt er inne und errinnerte sich daran, wie es damals war. Wie sich die starren, kräftigen Halme wehrten, gegen den Druck seiner gespreizten Hände und die Wassertropfen seine Handflächen benetzten.
Wie er den Kopf erhob, in die Ferne blinzelte und dort das verschwommene Bild von Wasserfontänen beobachtete, die in ihrem Rhythmus den Rasen wässerten. In einem fast therapeutischen Gleichklang jedes Gemüt beruhigen konnten, das
bereit war, sich im warmen, feuchten Rasen niederzulassen und in die Ferne zu starren.
Er legte den Kopf in den Nacken. Das Sonnenlicht glitt über sein Gesicht wie jedesmal und ein wohliger Schauer kroch über seinen Rücken. Er lauschte auf das rhythmische Klicken der Rasensprenger im Hintergrund.
Er ließ sich rückwärts auf den Rasen fallen und schloß die Augen. Als ihn die Halme an den Stümpfen seiner Oberarme kitzelten, wollte er seine Augen wieder öffnen, doch er konnte es nicht. Es würde wie gestern sein. Und vorgestern auch.

spectral

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