Moin,
vor etlichen Jahren war ich auch mal Chef eines Ladens in dem es, wie in jedem Einzelhandelsgeschäft immer einen gewissen Schwund gab. Mehr oder weniger zufällig konnte ich bemerken, dass einer der Mitarbeiter mal 'vergaß' die für den Eigenbedarf entnommenen Packung Zigaretten in die Kasse einzuscannen.
Kein weltbewegender Betrag und in dem anschließenden Abmahnungs-Gespräch wurde versichert, dass es ein einmaliges Versehen war und garantiert nicht wieder vorkommt. So richtig habe ich das mit dem 'einmalig' zwar nicht geglaubt, aber gehofft, dass es zumindest mit dem Versprechen ernst gemeint ist.
Dennoch, Vertrauen ist gut, Kontrolle aber besser. Die Schwundstatistik bei seiner bevorzugten Marke verbesserte sich tatsächlich, was allerdings keine Auswirkungen bei der allgemeinen Statistik für Zigaretten zeigte. Zufall oder geschicktes Taktieren eines bereits einschlägig bekannten Mitarbeiters?
Und was ist eigentlich mit den anderen irgendwie anhanden gekommenen Waren, ist er dort eventuell auch nicht ganz unschuldig? Dass Mitarbeiterdiebstähle im Einzelhandel nicht zu unterschätzen sind, war mir ja durchaus bekannt und es ging dabei ja auch um mein Geld.
In den nächsten Wochen habe ich täglich mindestens 1 Stunde dafür aufgewendet, die Bänder der ganz normalen Videoüberwachung der Geschäftsräume unter diesem Gesichtspunkt auszuwerten. Da war jedoch nichts Verdächtiges zu sehen, nur, dass gelegentlich nach dem Kassierungsvorgang noch an der Kasse hantiert wurde. Also her mit dem Kassenjournal und dieses anhand der Zeitangaben des Videos überprüft. Und dabei stellte sich Erstaunliches heraus. Die mit diesen Zeitpunkten zusammenfallenden Stornobelege erklärten plötzlich die unbegreifliche Tatsache, dass in einigen Warenposten mehr Bestand vorhanden war, als es lt. Wareneingang abzüglich Verkauf lt. Kasse eigentlich geben sollte. Teure Ware kassiert, anschließend den Beleg wieder storniert und aus dem Gedächtnis(!) per Hand die EAN eines wesentlich billigeren Produktes für die Kassenabrechnung eingegeben. Der Storno-Beleg war zwar entsprechend der Anweisungen von einem anderen Mitarbeiter gegengezeichnet, aber das war wohl mehr eine Gefälligkeit unter Kollegen als eine tatsächliche Kontrolle.
Lange Rede, kurzer Sinn: Aus dem ursprünglichem Bagatellbetrag wurde allein für den überprüften Zeitraum eine Summe, die den monatlichen Nettoverdienst dieses Mitarbeiters erheblich überstieg.
Man könnte jetzt von einem Einzelfall reden, aber sollte dabei eins nicht vergessen:
- jeder zweite 'Täter' ist Mitarbeiter des Unternehmens
- jeder dritte 'Täter' ist bereits länger als 10 Jahre im Unternehmen beschäftgt
- rd. 90 % davon sind 'Wiederholungstäter'
- etwa die Hälfte davon über einen Zeitraum von mehr als 3 Jahren
- der Warenwert eines beim Diebstahl erwischten Einzelhandelskunden beträgt im Durchschnitt etwa 75 EUR (rd. 45 % des Warenverlustes), der eines erwischten Mitarbeiters rd. 2.150 EUR (rd. 25 %)
Das o.a. Urteil mag im Einzelfall ungerecht erscheinen, andererseits sind einer Konrolle nach solch einem Vertrauensverlust in einen Kassierer durchaus verständliche gesetzliche und auch betriebswirtschafliche Grenzen gesetzt.
Gruß
Kalle