Liebste Uschi,
so wie du schreibst hast du viel theoretisches Wissen, hast aber selbst noch nie in dieser oder einer ähnlichen Situation gesteckt.
Das ganze hat nichts mit verletzter Ehre zu tun,oder mit einem übetriebenen Feindbild. Vielmehr muss man einem jungen Menschen auch seine Grenzen aufweisen, die er, was ganz natürlich ist, versucht zu überschreiten. Dazu gehört natürlich viel Liebe und Verständnis, aber auch eine feste Hand und eine gewisse Unnachgiebigkeit.
Einen Azubi auszubilden bedeutet auch, ihn zu erziehen. Ihn nicht nr fachlich zu einem kompetenten Menschen zu machen, sondern auch menschlich. Ihm Verantwortungsbewusstsein beizubringen. Aber auch, ihm zu zeigen, wie man sich in einer hierarchisch aufgebauten gemeinschaft bewegt.
Ich habe viel auf Baustellen zu tun. Hier lauern sehr viele Gefahren, und wenn ich einen Azubi bei mir habe, dann bin ich für den verantwortlich. Dieser Verantwortung kann ich aber nur nachkommen, wenn der Azubi meinen Anweisungen folgt. Wenn er hingegen versucht, ständig meine Kompetenz in Frage zu stellen, und sich über meine Anweisungen hinwegsetzt, dann bringt er sich und auch mich in eine gewisse Gefahr. Und dann ist es vielleicht zu spät für ihn zu erkennen, dass er besser auf mich gehört hätte.
Um dem vorzubeugen muss ich dem Sprössling VOR dem Eintreten einer solchen Gefahrensituation klarmachen, dass er auf mich zu hören hat. Bei den meisten reicht es völlig aus, das einmal zu sagen. Aber es gibt eben Sturköpfe, die müssen erstmal auf die Nase fallen bevor sie es kapieren. Und bevor sie in einer echten Gefahr auf die Nase fallen, gebe ich ihnen die Gelegenheit, in einer nicht-gefährlichen Situation zu erkennen, wo die Grenze ist und wer das Sagen hat.
Ich bin in der Strombranche tätig. Und Strom kann verflucht gefährlich werden!! Es gibt nicht umsonst sehr umfangreiche Sicherheitsvorschriften, und es kommen ständig neue hinzu. Wenn hier jemand meint "Ich hab Ahnung, ich mach wie ICH das will und nicht wie ein Fachmann mir das sagt, der hat ja eh keine Ahnung.", dann kann das verdammt in die Hose gehen.
In einem Büro geht es vielleicht "nur" um Geld, in meiner Branche geht es, und das ist nicht übertrieben, im schlimmsten Fall um Menschenleben!
Von daher ist es schon eigentlich überlebenswichtig, dass der Azubi meine Kompetenz anerkennt und meinen Anweisungen Folge leistet. Und das vom ersten Tag an! Und wenn er das nicht tut, dann braucht er eben einen kleinen Warnschuss vor den Bug. Und den bekommt er, wenn reden nix mehr hilft, in Form dieses "Streiches". Geholfen hat es bisher immer, und bisher waren weder einer meiner Azubis noch ich in einer echten Gefahrensituation.
Ich zählte im Übrigen auch zu den schwer belehrbaren. In meinem Lehrberuf sind z.B. Sicherheitsschuhe nicht vorgeschrieben. Und da diese Dinger bis vor einigen Jahren noch schwer, unbequem und zudem modisch unter aller Kanone waren hab ich nie welche getragen. Bis mir dann ein Computernetzteil auf den Fuß gefallen ist. Und das war gewiss nicht schwer, aber ich konnte eine woche nicht richtig laufen. Und rate mal, was ich seither regelmäßig trage. Als mir beim letzten Umzug ein Schrank aus der Hand gerutscht ist und auf dem Fuß gelandet ist, hab ich noch nichtmal mit der Wimper gezuckt...
Im übrigen, ich nehme jeden Menschen ernst und respektiere ihn. Egal wie alt, egal welche soziale Schicht, welche Bildung, welche Religion, ... Und diesen Respekt verlange ich auch mir gegenüber. Insbesondere wenn ich die Verantwortung trage.
Aber meine Frage hast du noch nicht beantwortet. Was machst du mit einer Person, für die du die Verantwortung trägst, die dich aber in deiner Gesamtheit in Frage stellt?